Purabo: inaktiv
Eberhard Figgemeier, einer der prägendsten ZDF-Sportjournalisten, ist verstorben. Berühmt wurde er 1985 durch seine einfühlsame Live-Reportage während der Katastrophe im Brüsseler Heyselstadion, als Fans von Liverpool und Juventus Turin aufeinander losgingen. Mit uns sprach er einst über diesen Abend.
Eberhard Figgemeier, vor 25 Jahren saßen Sie im Brüsseler Heyselstadion, um für das ZDF das Europapokal-Endspiel zwischen Liverpool und Juventus Turin zu kommentieren. Wie haben Sie sich auf diese Partie vorbereitet?
Eigentlich so wie immer. Wir waren zu zweit, der Filmemacher Hans-Joachim Gally und ich. Wir haben die Technik überprüft, mit den Kollegen in Mainz telefoniert, und ich habe meine Unterlagen noch einmal durchgesehen.
Wissen Sie noch, was auf den Zetteln stand?
Ganz genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Aber die Notizen passten zum Fußball – und zu nichts anderem.
Wann haben Sie bemerkt, das etwas auf den Tribünen passiert?
Zwischen 19 Uhr und 19.20 Uhr. Im ZDF lief da gerade das »heute journal«, die Zuschauer hatten also noch kein Bild aus Brüssel. Ich habe in Mainz angerufen: »Kollegen, hier passiert was.«.
Wann waren Sie live auf dem Sender?
Um kurz vor halb acht, nach dem »heute journal«. Inzwischen hatte ich auch Agenturmeldungen zu den ersten Krawallen vorliegen – ich konnte ja nicht von meinem Platz.
Was haben Sie den Zuschauern gezeigt?
Die Szenen auf den Rängen, ohne allerdings mit Großaufnahmen ins Detail zu gehen. Und trotzdem konnte jeder Mensch sehen, dass offensichtlich Schreckliches passierte.
Die Katastrophe wurde angeblich auch deshalb ausgelöst, weil Liverpool-Fans auf dem Schwarzmarkt an Karten der Italiener gelangt waren.
Richtig. Noch schlimmer war allerdings, dass beide Lager nur von einem offenbar provisorisch aufgestellten Maschendrahtzaun getrennt wurden. Die Liverpooler hatten keine Schwierigkeiten, das Teil in wenigen Minuten niederzureißen. Hunderte Engländer sind also auf die Juve-Fans losgegangen, und als die Massenpanik ausbrach, wurde uns auf der Pressetribüne klar, dass dort auf den Rängen gleich etwas Furchtbares geschehen würde.
Woran haben Sie das erkannt, es war doch sicherlich nicht das erste Mal, dass Sie Massenschlägereien beim Fußball beobachten mussten?
Aber das hier war etwas ganz anderes! Das war eine Massenflucht, das war echte Panik. Wir konnten es an den Schreien der Flüchtenden hören, an den Reaktionen der Ordner und der anderen Fans, die sofort nach Sanitätern riefen. Glücklicherweise wurden relativ schnell die Stadiontore geöffnet, so dass die meisten Menschen in den Innenraum fliehen konnten. Sonst hätte es noch mehr Tote und Verletzte gegeben.
Sie haben das alles live kommentieren müssen. Was haben Sie den Zuschauern in Deutschland erzählt?
Wir haben versucht, mit Augenzeugen zu sprechen, und dank der hervorragenden Arbeit vom Kollegen Gally klappte das auch. Ich sprach unter anderem mit einem deutschen Busfahrer, der ganz in der Nähe stand, als die ersten Menschen niedergetrampelt wurden. Er hatte vor dem Spiel noch italienische Fans zum Stadion gebracht. Gleichzeitig wurde ich von meinem Sender informiert: Was macht das ZDF, was schreiben die Agenturen, gibt es Verletzte, gibt es Tote? Und dann bekam ich einen Anruf von Harry Valerien, der damals das »Aktuelle Sportstudio« moderierte.
Was hat er Ihnen gesagt?
Dass ich weiter beschreiben soll, was da in Brüssel passiert. Dass ich meine Betroffenheit zeigen darf, denn genauso wie ich fühlten ja auch die Zuschauer vor dem Bildschirm.
Zu welchem Zeitpunkt wussten Sie, dass Menschen auf den Rängen gestorben waren?
Spätestens nach 15, 20 Minuten war uns allen klar, dass es Tote gegeben haben musste. Kurz danach kam die Bestätigung über die Agenturen. Das Ausmaß der Katastrophe konnte zu diesem Zeitpunkt aber noch keiner ahnen. Das Schlimmste für mich war, den Toten ins Gesicht blicken zu müssen. Auf der Tribüne waren wir alle noch relativ weit entfernt vom Geschehen, aber die Situation änderte sich gewaltig, als ich meinen Platz verlassen hatte und vor dem Stadion stand. Ich bin 47er-Jahrgang, Nachkriegsgeneration – so ähnlich wie vor dem Stadion in Brüssel habe ich mir ein Feldlazarett immer vorgestellt: Eine riesige Zeltstadt, überall lagen Leichen, überall schrien Verletzte. Es war einfach nur furchtbar.